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Gute Lernzeiten, schlechte Lernzeiten

Entwicklungsphasen von Kindern haben große Auswirkungen auf deren Arbeits- und Sozialverhalten. Mit individueller Förderung gelingt es Schulen, darauf einzugehen.

Von Frauke König und Andrej Priboschek

Entwicklungsphasen von Kindern haben große Auswirkungen auf deren Arbeits- und Sozialverhalten. Mit individueller Förderung gelingt es Schulen, darauf einzugehen.

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Auch mal mit bemaltem Arm: Achtklässler. (© Alex Büttner)

Ab der 7. Klasse, wenn die Pubertät ihre Schüler voll erfasst, trennen die Lehrer der Europaschule Schwalmtal auch schon mal die Mädchen und die Jungen voneinander, um die Gemüter zu beruhigen. Beim Sport etwa, aber auch bei Lektionen in Hauswirtschaft und Technik, sind die Zwölf- bis 15-Jährigen extrem unsicher in Gegenwart des jeweils anderen Geschlechts, wie Arthur Siemes, Leiter der Hauptschule, feststellt. Dies beeinträchtige die Leistungen mitunter massiv. „In der 10. Klasse läuft das dann wieder ganz locker“, sagt Siemes. Dann sei ein unbefangener Umgang zwischen Mädchen und Jungen wieder in allen Fächern möglich – und der gemeinsame Unterricht funktioniere reibungslos.

Die Pubertät ist nur eine von mehreren Entwicklungsphasen

Das Beispiel zeigt: Entwicklungsphasen von Kindern haben große Auswirkungen darauf, wie sie lernen. Ob Schüler Informationen leicht aufnehmen und verarbeiten können, ob sie leistungsbereit sind, ob sie mit Klassenkameraden und Lehrern gut auskommen, hängt nicht allein von Erziehung und Persönlichkeit ab. Das Arbeits- und Sozialverhalten unterliegt Schwankungen, und dabei spielen die Entwicklungsphasen eine große Rolle. Die Pubertät, die als besonders schwieriges Alter gilt, ist nur eine davon.

Auch die Grundschulen sind zunehmend gefordert, mit Schülern in unterschiedlichen Entwicklungsphasen umzugehen. „Die Spanne wird immer größer“, sagt Gabriele Cwik, Schulrätin im Schulamt Essen. Einerseits würden immer mehr Kinder eingeschult, die sich kaum selbst anziehen könnten. Andererseits sei zunehmend häufiger schon bei Viertklässlern vorpubertäres Verhalten zu beobachten. Die Folge: Kinder, die noch am Daumen lutschen, treffen mit gestylten Teenagern auf dem Schulhof zusammen.

Erstklässler sind fünf, sechs oder sieben Jahre alt

Für die Lehrer ist es eine große Herausforderung, auf solch unterschiedliche Entwicklungsphasen angemessen einzugehen, wie Cwik betont. Zumal deutliche Unterschiede auch schon innerhalb einer Klasse auftreten. So sind unter Erstklässlern einige erst fünf, andere bereits sieben Jahre alt, manche würden sich am liebsten noch mit Spielzeug in der Ecke verkrümeln, während andere in ihrem Lerneifer kaum mehr zu bremsen seien. „Die Schere geht immer, immer weiter auseinander“, bestätigt auch Mechthild Jahnke, Leiterin der Dionysiusschule in Essen-Borbeck, einer katholischen Grundschule. Individuelle Förderung, so heißt das pädagogische Prinzip, mit dem die Lehrer die Aufgabe angehen.

 

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Foto: Jedes Kind hat Stärken. (Foto: Alex Büttner)""Bei den Fähigkeiten ansetzen, die das Kind mitbringt". (Foto: Alex Büttner)" "Bei den Fähigkeiten ansetzen, die das Kind mitbringt". (Foto: Alex Büttner)"

Auch die weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen nehmen verstärkt den einzelnen Schüler in den Blick. Schulen, die den Unterricht entsprechend gestalten, bekommen vom Land das „Gütesiegel Individuelle Förderung“ verliehen – 351 sind es mittlerweile.

Beziehungen nicht dem Zufall überlassen

Dazu zählt auch das Carl-Fuhlrott-Gymnasium Wuppertal. Die nach dem Entdecker des Neandertalers benannte Schule hat ein Fördersystem entwickelt, um sowohl besonders Begabte stetig anzuregen als auch schwächere Schüler mitzunehmen. Auf einen pubertätsbedingten Leistungseinbruch wird hier schnell reagiert. Ein betroffener Schüler kann sowohl Hilfe von Lehrern wie auch von älteren Schülern in Anspruch nehmen. Wichtig dabei vor allem, wie Rektor Karl W. Schröder betont: die persönliche Bindung zwischen Schülern und Lehrern sowie zwischen Schülern untereinander. „Je mehr positive Kontakte bestehen, desto weniger Probleme gibt es“, sagt er. Deshalb wird an seiner Schule die Beziehungspflege nicht dem Zufall überlassen.

Ein Element dabei: Patenschaften, die von älteren Schülern für jüngere übernommen werden. Ein anderes: das Klassenleitungsteam. Ein Lehrer und eine Lehrerin leiten in der Unter- und Mittelstufe stets gemeinsam eine Klasse und unterrichten darin so viele Fächer wie möglich. So ist zum einen gewährleistet, dass die Schüler auch dann noch eine Bezugsperson haben, wenn eine aus dem Leitungsteam ausscheidet, etwa wegen Krankheit. Zum anderen ist gerade für Pubertierende so manches Thema leichter zu besprechen, wenn sie einen männlichen und einen weiblichen Ansprechpartner haben. Dazu kommt: Die Lehrer am Carl-Fuhlrott-Gymnasium bemühen sich, ihren Schülern auch außerhalb des Unterrichtes zu begegnen.

„Wir müssen den jungen Leuten Anerkennung geben“, sagt Schulleiter Schröder, „und wahrnehmen, was sie außerhalb der Schule leisten, etwa in Musik und im Vereinssport“. Denn Schule, da machen sich die Lehrer am Carl-Fuhlrott-Gymnasium nichts vor, kann für Zwölf- bis 16-Jährige schon mal in den Hintergrund treten. „Die Schüler sind multimedial vernetzt, halten ständig Kontakt. Die haben ungemein viel damit zu tun, sich einen Status in ihrer Gruppe zu erarbeiten. Da ist es nicht verwunderlich, wenn sie keine Zeit für englische Grammatik haben“, sagt lächelnd Angelika Fabian, Leiterin des Zweiges „Unterstützende Förderung“ an der Schule.

Gelassenheit hilft

Die gute Kenntnis ihrer Schüler macht es den Lehrern am „CFG“ leicht, zwischen vorübergehenden Schwierigkeiten und tieferen Lernproblemen zu unterscheiden. „Wenn ein Schüler sich in der 5. und 6. Klasse blitzgescheit gezeigt hat und in der 7. oder 8. einbricht, dann weiß ich: Das ist eine Durststrecke. Das Potenzial verändert sich ja nicht plötzlich“, sagt Lehrerin Fabian. Sie rät, pubertäre Wirren – die ohnehin nur bei einem Bruchteil der Schülerschaft augenfällig würden – zunächst mit Gelassenheit anzugehen. „Man sollte Provokationen nicht persönlich nehmen. Pubertierende müssen sich abgrenzen, um ihre Rolle zu finden. Das schließt aber nicht aus, die Grenzen deutlich zu machen und bei Übertritten Konsequenzen folgen zu lassen.“ Je mehr die Eltern dabei mitzögen, desto leichter falle Lehrern die Arbeit.

Einerseits Selbstbewusstsein stärken, andererseits Grenzen setzen – diese Rezepte wendet auch die Europaschule Schwalmtal bei ihren Siebt- bis Neuntklässlern an. So bietet die Hauptschule ihren Schülern über Austauschprogramme Möglichkeiten zu Aufenthalten in Großbritannien und den Niederlanden – und damit Chancen, sich in einer fremden Umgebung zu bewähren. Auch die intensive Berufsorientierung trägt dazu bei, dass Pubertierende nicht entgleiten. Ganz vermeiden lassen sich Konflikte aber nicht, wie Lehrerin Meta Nefen weiß: Regeln brechen, Erwachsene herausfordern, das mache die Pubertät für viele Kinder und Jugendliche ja gerade aus.

Dann gelte es eben, konsequent zu sein. Wie bei jenem 15-Jährigen, der seinen Kopfhörer im Klassenzimmer nicht ablegen wollte und dabei auf die Schulordnung pochte. Diese verbiete zwar die Nutzung elektronischer Geräte im Unterricht. Aber – hierbei hielt er den Stecker in die Höhe – der Kopfhörer sei ja nicht eingestöpselt und könne deshalb nicht als elektronisches Gerät angesehen werden. Lehrerin Nefen machte dem Schüler schnell klar: Er kann doch.

Entwicklungsphasen im Überblick

Die Entdeckerphase – bis etwa fünf Jahre:
Das klassische Kindergarten-Alter. Kinder in dieser Phase, sagt Georg Hoffmeister, Leiter des Schulpsychologischen Dienstes der Stadt Mönchengladbach, „gucken, staunen und machen nach“. Die Kleinen entdecken die Welt. Dabei sind Anregungen wichtig, zum Beispiel durch Vorlesen. Erklärungen, so Hoffmeister, interessieren Kinder in dieser Phase aber noch kaum.

Die Forscherphase – von sechs bis etwa zehn Jahre:
Nun wollen Kinder es ganz genau wissen. Sie drängen dann schon mal Erwachsene mit schier endloser Warum-Fragerei an den Rand ihrer Allgemeinbildung. In dieser Phase lernen Grundschüler in der Regel mit Begeisterung. Jetzt müssen Eltern, betont Schulpsychologe Hoffmeister, die Selbstständigkeit ihrer Kinder fördern, indem sie ihnen immer mehr Verantwortung für die eigenen Belange übertragen.

Die Vorpubertät – mit etwa elf, zwölf Jahren:
Ein Vorgeschmack auf die kommende Phase: Man gibt sich jugendlich, legt zunehmend Wert auf Kleidung und Musik. Spielzeug wird nur noch aus dem Regal geholt, wenn keiner zuguckt. Erste Stimmungsschwankungen treten auf. Hoffmeister: „Kinder beginnen nun, ihre Persönlichkeit darzustellen, sich abzugrenzen.“ Der Freundeskreis rückt in den Mittelpunkt. Der Schulpsychologe rät Eltern: „Toleranz zeigen, aber auch Grenzen setzen.“

Die Pubertät – von etwa zwölf bis 17 Jahre, bei Mädchen oft etwas früher:
Jetzt ist die körperliche Entwicklung nicht mehr zu übersehen, und auch geistig-emotional tut sich einiges: unvermittelte Gefühlsausbrüche, rebellisches Verhalten, mitunter Absacken bei den Schulleistungen. „Keine Panik“, sagt Hoffmeister, „meistens ist die Lage nicht so dramatisch, wie sie zu sein scheint“. Er empfiehlt Eltern, die Abgrenzung zuzulassen und sich jetzt nicht ihren Kindern als Kumpel anzubiedern. Das wollen die nämlich gar nicht. Stattdessen: geraden Kurs fahren.